KREFELD China, Persien, Italien, Krefeld: Das Deutsche Textilmuseum zeigt die Geschichte des kostbarsten aller Stoffe.
Im Raum hinter dem weißen Vorhang ist es plötzlich schummrig. Und ziemlich kühl. Wer dem Deutschen Textilmuseum im Herzen des historischen Krefelder Stadtteils Linn einen Besuch abstatten will, der sollte sich gerade im Sommer warm anziehen: Bei exakt 18 Grad ist hier aktuell „Seide – Textile Pracht aus 2000 Jahren“ ausgestellt.
Und nicht nur die Temperatur muss im Ausstellungsbereich stimmen, erklärt Dr. Isa Fleischmann-Heck, stellvertretende Museumsdirektorin: Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 55 Prozent, das Licht ist auf 50 Lux gedimmt. „Weil Textilien die empfindlichste Kunstgattung überhaupt sind. Das Gewebe, gerade von Naturfasern wie Baumwolle, Leinen – oder eben Seide – verändert sich sehr schnell.“ Das heißt: Je höher Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind, desto größer ist etwa auch die Gefahr von Schimmelbildung, dass sich die Gewebefasern ausdehnen oder schrumpfen.
Die aktuelle Ausstellung zeigt einen Querschnitt durch die Sammlung des Deutschen Textilmuseums – für das es wohl landauf, landab kaum einen passenderen Standort gäbe als die Samt- und Seidenstadt: Im 17. Jahrhundert begründeten mennonitische Glaubensflüchtlinge hier die Seidenindustrie, die durch die Förderung Friedrichs des Großen im 18. Jahrhundert ihre erste Blüte erlebte. „Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begann man, neben den Instituten zur Ausbildung und Fortbildung von Webern und Färbern auch eine textile Lehrsammlung zusammenzustellen, die vor allem dem Nachwuchs der Entwerfer dienen sollte. Diese Sammlung bildet den Kern der heutigen Bestände“, so steht es im Flyer des Deutschen Textilmuseums.
Das nimmt seine Besucher noch bis zum 11. September mit auf eine historische Zeitreise durch 2000 Jahre Seiden-Geschichte. Von China geht es nach Usbekistan, ins alte Persien, nach Ägypten und übers Mittelmeer nach Europa, immer die Seidenstraße entlang nach Italien, Frankreich und natürlich bis nach Krefeld. In den Glaskästen: 242 Objekte – angefangen von Stofffragmenten, chinesischer Han-Seide aus der Zeit um Christi Geburt etwa, bis hin zu festlichen Roben aus dem Frankreich des 17. Jahrhunderts. Die jüngsten Ausstellungsstücke: zwei Designer-Cocktailkleider aus den 1960er Jahren von Dior und Balmin. Eines haben alle Ausstellungsstücke gemein: Sie sind aus dem kostbarsten aller Stoffe gemacht: Seide. Da ist das weit ausgestellte und geraffte Gesellschaftskleid mit Spitze an Kragen und Ärmeln, in dem sich der Wohlstand der deutschen Trägerin Anfang der 1880er Jahre spiegelt. Oder der aufwendig mit einem Blätter- und Rankenmuster aus Gold- und Silberfäden verzierte, dreiteilige Herrenanzug – Mode, die der wohlhabende französische Mann zur Zeit der Kaiserkrönung Napoleons am Hofe trug. Die Seide dafür? „Könnte aus Krefeld kommen“, vermutet Isa Fleischmann-Heck – überliefert sei die Herkunft des Stoffes aber nicht.
Ganz sicher aus Krefeld, nämlich aus Verberg, ist eines von zwei im Museum ausgestellten Brautkleidern – davon zeugt auch das Foto des Brautpaares, grob auf das 19. Jahrhundert datiert. Warum die Trägerin damals ganz in Schwarz vor den Traualter schritt? „Die Leute damals besaßen häufig nur eine Robe für festliche Anlässe“, erklärt Fleischmann-Heck. Die Trägerin hat in diesem Kleid vermutlich nicht nur geheiratet, sondern es auch bei Taufen, Beerdigungen, möglicherweise als trauernde Witwe getragen – „oft wurden die Träger auch in ihrem Festkleid beerdigt“. Dass das hier nicht passiert ist, sei der Familie der Trägerin zu verdanken, die das Kleid nach deren Tod aufbewahrt habe. Es sei eines der Stücke, die innerhalb der vergangenen zehn Jahre für die Museumssammlung gespendet wurden, erzählt Museumsleiterin Dr. Annette Schieck.
1880 habe man die mit einem „universellen Sammlungsanspruch“ in Krefeld begonnen. Heute sind 30 000 Objekte im Besitz des Deutschen Textilmuseums in Linn – „aus allen Zeiten, allen Kulturen und allen Kontinenten“ , darauf ist Annette Schieck stolz. Auf ganz unterschiedlichen Wegen seien die textilen Stücke – darunter auch archäologische Funde wie Stofffragmente aus Ägypten oder Italien aus dem 14. und 15. Jahrhundert – nach Krefeld gekommen. „Im späten 19. Jahrhundert begann der Kunsthandel zu florieren und Stoffe aus aller Welt landeten bei Sammlern aus Deutschland.“ Damals habe sich alles um den Stoff, das Material an sich gedreht – deswegen seien auch viele der Ausstellungsstücke im Auge vieler Betrachter bloß „rechteckig zugeschnittene Stofffetzen“, erklärt die Museumsleiterin. Heute interessieren sich Historiker vor allem für soziokulturelle Fragen, die die historischen Kleidungsstücke über ihre früheren Träger verraten: „Wer war die Dame, die das Kleid getragen hat? Was stand auf der Speisekarte? Und welche Feste hat sie besucht?“
Spätestens mit dem Umzug nach Linn in den 1980er Jahren, sei Mode ein Schwerpunkt des Deutschen Textilmuseums, dessen Sammlung eine von vier Säulen bildet. Eine weitere ist die Restaurierungswerkstatt in der Textilien aufgearbeitet werden, mit der aber auch die gesamte Organisation einer Ausstellung – vom Auf- bis zum Abbau – steht und fällt. Zwei, höchstens drei Ausstellungen können Interessierte in Linns historischem Ortskern pro Jahr besuchen. „Ziel ist es, unsere eigene Sammlung zu präsentieren, aber auch externen Künstlern eine Plattform zu bieten und damit ein abwechslungsreiches Programm zu liefern“, sagt Schieck. Und dann ist da noch die öffentliche Museumsbibliothek, in der Historiker und Studenten in mehr als 10 000 Monografien zur Textilgeschichte recherchieren können. Und das bei deutlich heimeligeren Temperaturen – ganz sicher über 18 Grad.
KONTAKT Tel. (02151) 94 69 450, textilmuseum@krefeld.de
ÖFFNUNGSZEITEN Das Museum zeigt ausschließlich Wechselausstellungen. In der Zeit zwischen den Ausstellungen bleibt das Museum für Besucher geschlossen. Dienstags bis sonntags 11 bis 17 Uhr, montags geschlossen. Aktuelle Ausstellung bis zum 11. September: „ Seide – Textile Pracht aus 2000 Jahren “ .
EINTRITT Erwachsene 4,50 Euro, Schüler und Studenten zwei Euro, Kinder unter sechs Jahren haben freien Eintritt.
FÜHRUNGEN „Krefelder Leute von gestern bis heute “ heißt die Führung jeden dritten Sonntag im Monat um 15 Uhr durch das Jagdschloss. Dort erleben Teilnehmer eine Reise durch das bürgerliche Wohnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ab Herbst 2016 gibt es wieder regelmäßige Nachtwächterführungen für Groß und Klein durch Burg Linn.
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